Vor Kurzem tauchte mein u. a. Leserbrief an die FAZ wieder auf, wahrscheinlich aus einer Ecke meiner Wiedervorlagemappe.
Okay, ich bin „old-school“ unterwegs!
Beim nochmaligen Lesen fand ich mich nicht mehr so „old-school“. Im Gegenteil. Meine Anmerkungen unterschreibe ich auch drei Jahre danach noch:
Obwohl wir eine Bundestags- und mehrere Landtagswahlen weiter sind.
Obwohl wir einen Krieg ca. zwei Flugstunden entfernt in Europa haben.
Obwohl wir noch in einer Pandemie stecken.
Obwohl wir „heraus-ragende“, im Sinne von abweichend vom Durchschnitt, Wetterphänomene beobachten können:
aktuell die sehr hohen Temperaturen in Indien und selbst bei uns im beschaulichen Deutschland im letzten Jahr die Überflutung in NRW und Rheinland-Pfalz.
Insofern möchte ich die u. a. Mail um folgende Punkte ergänzen:
6)
Klimaschutz ist Aufgabe aller Staatsbürgerinnen und -bürger. Ich bin es leid, immer wieder Rufe nach der Politik
„als Retter in der Not“ zu hören (Herbert Grönemeyer lässt grüßen ☺ ).
Nein, jeder von uns muss sein eigenes Verhalten ändern und nicht der Nachbar, die Reichen, die Städter, die Landbevölkerung oder wer auch immer. Wir alle sind gefordert.
Das hat auch etwas mit Führung zu tun, und zwar die persönliche Führung und Haltung zu sich selbst und allen anderen Menschen in diesem Gemeinwesen gegenüber. Wenn das in den letzten Jahrzehnten nicht „en vogue“ war, sondern die Individualität als höchstes Gut galt und gilt – schade! Aber das war gestern und ist jetzt vorbei! Wir können das tote Pferd nicht mehr reiten.
Wir könnten ja bspw. damit starten, dieses unsägliche „man“ aus unserem Sprachschatz zu verbannen und durch „wir“ bzw. „ich“ ersetzen. „Man müsste … „ nicht mehr nutzen! „Man sollte … „ nicht mehr nutzen, sondern stattdessen „wir starten mit….“, „wir beenden …“, „ich stelle… in meinem Leben um“.
7)
Ich empfinde die handelnden Personen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Bereicherung unserer Bundesregierung. Aber das bedeutet noch nicht, dass ich mit der politischen Führung beim Klimaproblem insgesamt einverstanden wäre. Es kann doch nicht sein, dass immer noch kein umfassendes Konzept vorliegt und – weit schlimmer – sich die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker nicht trauen, einen Dialog mit den Bürgern zu eröffnen. Ich sitze immer wieder fasziniert vor dem Fernsehen (auch „old-school“, ich weiß), um die Windungen der politischen Gesprächspartnerinnen zu beobachten, wenn es um konkrete Aussagen, bspw. zum Verzicht auf Flugreisen, geht. Keine konkreten Stellungnahmen. Genau an dieser Stelle bedeutet Führung aber, voranzugehen. Ja, und das wird weh tun, im wahrsten Sinne des Wortes.
Was sollte aber sonst die Aufgabe von Politik sein, wenn nicht die Zukunft zu gestalten?
Wenn der Klimaschutz die höchste Priorität hat, dann muss z. B. der Bundeskanzler aufstehen und „sagen, wie es ist und was das für jeden bedeutet“. Und er muss sagen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht alles werden monetär abfedern können, es also jeden trifft. Wir alle werden das „bezahlen“ müssen.
Führung bedeutet also nicht, sich hinter dem Baum zu verstecken, sondern hervorzutreten und Stellung zu beziehen. Und Führung bedeutet auch nicht, Änderungen anzukündigen und im selben Augenblick zu posaunen, dass die Gemeinschaft alle Kosten übernimmt. Das gibt es nicht mehr. No way!
Und, um das auch deutlich zu kommunizieren:
Es ist vermutlich vorbei mit unserer Art des Wirtschaftens. Mehr T-Shirts, mehr Autos, mehr Urlaube, mehr Geld… Dieses Mantra gehört auch der Vergangenheit an. Und auch das tut richtig weh! Aber so wird es zukünftig nicht mehr funktionieren.
FAZ:
„Klimaschützer wettern gegen Nutztiere“ , FAZ v. 07.08.19;
„Am liebsten Fleisch“, FAZ v. 07.08.19;
„Kurzsichtige Debatte über kurze Flüge“, FAZ v. 12.08.19;
„CDU schlägt Abwrackprämie für Ölheizungen vor“, FAZ v. 12.08.19;
„Der Kampf gegen Plastik wird härter“, FAZ v. 13.08.19
Sehr geehrte Redaktion,
angesichts der Vielzahl an umweltpolitischen Themen, sowie den Vorschlägen und Aktivitäten verschiedener Interessengruppen und deren Berichterstattung in allen Medien habe ich zunehmend das Problem, einen „roten Faden“ zu erkennen und zwar im Hinblick auf Inhalte als auch auf den Gang der Diskussion.
Konsens in der deutschen Bevölkerung können wir wohl unterstellen, dass wir mit Maßnahmen in Deutschland alleine das Klima nicht retten können, sehr wohl aber Verantwortung für unser Handeln übernehmen müssen. Des Weiteren besteht wahrscheinlich Einigkeit darüber, dass Klima/Umwelt ein sehr schwieriges, weil komplexes und auf Systemen und deren Zusammenwirken bestehendes Thema darstellt.
Offensichtlich werden jede Menge an Ideen hierzu produziert. Allerdings, und hier kommt mein erster Einwurf, klingen diese überwiegend so, als sei es immer eine Aufgabe „der anderen“, also der Industrie, der Wirtschaft, der Politik, der Autofahrer etc. Jeder schaut sich um und hofft, nicht betroffen zu sein, weder über den Geldbeutel noch über Ge- und Verbote.
Wenn es aber sehr ernst mit dem Klima ist, dann müssen wir unsere Lebensweise infrage stellen. Und zwar jeder einzelne Staatsbürger, konsequent und umfassend. Wir sind beim Klima/der Umwelt Subjekt und nicht Objekt. Wir können die Verantwortung für unser Handeln nicht delegieren und müssen uns selber anschauen und ggf. auch unser Mantra vom wirtschaftlichen Wachstum und mehr Einkommen , mehr Autos, mehr Bekleidung, mehr Urlaube, mehr Angebote und so weiter „beerdigen“, weil wir es uns nicht mehr leisten können und wollen.
Diese Änderung in unserer Gesellschaft wird so fundamental sein, dass wir alle dies diskutieren und entscheiden müssen.
Nur, wo findet der Diskurs gerade statt?
Wo sind die Politiker aller Parteien, die gerade auffällig viele Aktivitäten bzgl. der Umweltproblematik ergreifen, und dies mit der deutschen Bevölkerung diskutieren?
Wo sind die Politiker und auch die Mitarbeiter der Parteien und Verwaltungen, die den Menschen in urbanen Gebieten erläutern, dass der Individualverkehr ein Thema „von gestern“ ist, die den Menschen in nicht-urbanen Gebieten Vorschläge zur zukünftigen Mobilität vorlegen und auch ebenso den Belegschaften der Unternehmen in der deutschen Automobilindustrie erklären, dass ihre Arbeitsplätze in naher Zukunft gefährdet sind, weil wir in Deutschland uns Autos so nicht mehr leisten können und wollen?
Dieselbe Frage könnte ich jetzt für den Flugverkehr, unsere Urlaubsgewohnheiten, den Fleischkonsum, den Genuss von Erdbeeren im April, die Modeindustrie, den Trinkwasserverbrauch und, und, und stellen.
Damit leite ich zum zweiten Punkt über: wo ist eigentlich das Konzept zum Klima-/Umweltschutz?
Dabei wäre es mir egal, auch nur Arbeitstitel oder Themenüberschriften zu finden und eben noch keine Lösungen. Hauptsache ist doch, dass wir anfangen, zu denken und ein schlüssiges Gesamtkonstrukt erstellen. Mein Eindruck ist aber, dass wir nichts haben und die politischen Gruppierungen sich im Augenblick mit Vorschlägen überbieten, um nicht ja nicht in Wahlen abgestraft zu werden. Nur, ohne Konzept wird es nicht funktionieren.
Oder wollen wir weiter akzeptieren, dass eine der wichtigsten Säulen unserer Wirtschaft und damit unseres Reichtums, die Automobilindustrie, seit einiger Zeit kaputt geredet wird, ohne eine Alternative anbieten zu können, weil die Politik seit mehreren Jahrzehnten eben nicht in die Bahn signifikant investiert hat?
Wollen wir weiter akzeptieren, dass Windräder „aus dem Boden schießen“ und es, so zumindest vor Kurzem im Fernsehen zu verfolgen, jetzt beim anstehenden Generationenwechsel sich herausstellt, dass die abgebauten Teile nirgendwo entsorgt werden können, weil es sich um Sondermüll handelt?
Wollen wir weiter akzeptieren, dass Elemente unseres Lebens selektiv herausgepickt werden und wir uns moralischen Negativurteilen gegenübersehen, z. B. beim Fleischkonsum, aber gleichzeitig nicht betrachtete Bereiche, in diesem Fall der Kakao, mehr Ressourcen verschwenden?
Was ist eigentlich mit Europa? Mein Punkt drei!
Die Umwelt-/Klimapolitik ist doch im Besonderen geeignet, internationale Aktivitäten zu entwickeln. Wo sind die zu finden, wer macht was, wann treffen sich Arbeitsgruppen…? Aus meiner Sicht: nichts zu erkennen.
Punkt vier.
Angenommen, wir würden in einen Diskurs einsteigen und auch Entscheidungen oder Beschlüsse herbeiführen – wie wollen wir zukünftig damit umgehen? Heute scheint es ja so zu sein, dass demokratisch legitimierte Entscheidungen über den Rechtsweg vielfach wieder in Frage gestellt werden. Dies ist auf der einen Seite ein wesentliches Kennzeichen des Rechtsstaates. Auf der anderen Seite können wir es uns aber nicht mehr erlauben, mehrere Jahrzehnte auf Genehmigungen zu warten, weil Klima/Umwelt ein Handeln erfordern. Oder anders gefragt: sind wir als Staatsbürger und Menschen, die in diesem Land leben, bereit auch demokratische Entscheidungen zu akzeptieren und damit umsetzungsfähig zu machen?
Der letzte Hinweis in meiner Argumentation zielt auf die Medien, also Sie:
Welche Rolle übernehmen Sie hierbei?
Was ich zur Zeit erkenne, ist die, mehr oder weniger gefilterte, Wiedergabe der Ideen.
Wann insistieren Sie denn bei den Mandatsträgern zum Thema Klima/Umwelt und fordern Konzepte ein, um endlich mal Sprechblasen abzulösen?
Oder ist der gesellschaftliche Streit über diese Themen ggf. so schmerzhaft, dass wir ihn alle vermeiden und mit Geld und Umverteilung von Geld zudecken wollen? Wenn das so ist, haben wir dann vielleicht gar kein so schlimmes Umwelt-/Klimaproblem?
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Stephan Tank


