Profit versus höheres Ziel – Organisationen in der Sinnkrise?

Welches sind die Kernaussagen von Friedman?

Friedmann hat 1970 in der New York Times seinen Aufsatz „The Social Responsibilty of Business is to Increase its Profits” veröffentlicht.

Zunächst mal fokussiert der Autor auf die Organisation oder das Unternehmen und seine Führungspersonen, die in der Regel Angestellte der Eigentümer – und damit ihnen gegenüber verantwortlich sind. Er betont dabei besonders die Eingebundenheit des Unternehmens in die Regeln der Gesellschaft, die sich im Rechtssystem und in den ethischen Grundsätzen manifestieren. Aber, die eigentliche Verpflichtung für die verantwortlichen Manager sei es, Geld zu verdienen. Demgegenüber ist klar, dass der Geschäftsführer eines Unternehmens auch ein „privates“ Individuum darstellt. Und genau in dieser Rolle könnte die Managerin sich, wenn gewünscht, sozialen Verantwortlichkeiten stellen, z. B. mit dem Einsatz von eigenem, privatem Geld.

Wenn nun ein angestellter Manager das Geld der Organisation ausgibt, z. B. indem versucht wird, die Umweltverschmutzung über das gesetzlich festgelegte Mindestmaß zu reduzieren, bedeutet es, dass er das Eigentum (=Geld) seiner Arbeitgeber für ein soziales Interesse ausgibt. Damit würde er quasi zu einem Staatsdiener, einem Beamten mutieren, der Geld für soziale Ziele ausgeben kann. Hierzu würde es aber politischer Mechanismen bedürfen und nicht solcher des Marktes. Wer, so Friedman, soll das nun bestimmen, wie und wofür Geld ausgegeben wird? Es fehlt der politische Legitimierungsprozess. Letztendlich könnten wir auch sagen, dass sich aufgrund fehlender demokratischer Prozesse (sich z. B. Mehrheiten zu organisieren und dann zu entscheiden, wieviel Geld für welche sozialen Ziele ausgegeben werden soll) hierbei undemokratische Prozesse Bahn brechen.

Insofern, und das ist aus meiner Sicht eine der Kernaussagen, kann jede Person Gutes tun, aber nur „auf eigene Rechnung“. Dies gilt also für die angestellte Managerin als auch für den Eigentümer eines Unternehmens. Im Besonderen Letztgenannter kann „eigenes“ Geld für soziale Zwecke spenden.

Nicht unerwähnt bleiben sollte der Fall, dass ein Unternehmen sehr stark in der örtlichen Gemeinschaft verwoben ist und z. B. über Spenden „Gutes tut“. Dadurch, dass aber dafür auch Gegengeschäfte erwartet werden, so z. B. die längerfristige Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen oder auch ein steuerlich begünstigter Abzug von Spenden des Unternehmens (im Gegensatz zu den Spenden als Person), kommt es zu einer Augenwischerei und Friedmann verurteilt diese auf‘ s Schärfste.

Ebenso seien die öffentlichen Aussagen von hochrangigen Vertreterinnen der Unternehmen zur sozialen Verantwortung ihrer Organisationen eher geeignet, die (damals) vorherrschende negative Ansicht über Gewinne (gefährlich, unmoralisch und diese sollten durch Kräfte außerhalb des Marktes kontrolliert werden) noch zu verstärken. Er spricht sogar in diesem Zusammenhang von einem suizidalen Impuls der Unternehmensvertreter

(siehe auch: „Ein Hoch auf den Gewinn“, in: FAS vom 01.09.2019).

Insofern, und das bildet den Abschluss des sechsseitigen Aufsatzes, gäbe es nur eine soziale Verantwortung der Wirtschaft: die Aktivitäten des Unternehmens so zu lenken, dass der Gewinn steigt, und zwar solange es sich gemäß den Spielregeln im offenen und freien Wettbewerb verhält, ohne Täuschung und Betrug.

Gotteslästerung?

Es scheint so zu sein, dass bereits 1970 sehr heftige Diskussionen in Amerika zur Wirtschaft, den Märkten und auch der Verantwortung „des“ Unternehmens in einer Gesellschaft tobten. Das ist an mehreren Stellen des Aufsatzes deutlich zu spüren. Vermutlich induziert durch den Vietnamkrieg stellten gesellschaftliche Gruppen vermehrt die Frage nach der grundsätzlichen Organisation des Marktes, freies Agieren der Akteure oder eher der Ruf nach regulatorischen Kräften, um den Markt zu zähmen. Friedman als ein Protagonist der Chicagoer Schule hat hierzu sehr klar zugunsten des freien Marktes Stellung bezogen.

Grundsätzlich lässt sich aus meiner Sicht die Argumentation nachvollziehen. Wie kann es sein, dass ein angestellter Manager Geld für soziale Wohltaten außerhalb des Unternehmens ausgibt? Das gehört den Eigentümern. Und warum spendet er oder sie nicht als Privatperson einen Beitrag, engagiert sich in örtlichen Vereinen etc.?

Des Weiteren, und das wird in vielen Artikeln verschwiegen, weist Friedman ja explizit auf die „Spielregeln des Marktes“ hin, die es für Unternehmen zu beachten gilt!

(siehe auch: „Was hätte Milton Friedman gesagt“, in: FAZ v. 23.09.20 – Interview mit Luigi Zingales, The University of Chicago Booth School of Business)

Die Rolle des Marktes

Das Supremat des „der Markt wird es schon richten“ hat sich durch die Liberalisierung der Finanzmärkte in den 1990er Jahren erledigt: einige Unternehmen verfügen heute über höhere Budgets als Länder, Finanzkonzerne haben betrogen und Volkswirtschaften an den Rand der Stabilität gebracht (und damit auch deren demokratische Verfassung) und mussten von den Regierungen (und damit vom Steuerzahler) gestützt werden. Zentralbanken greifen seit Jahren massiv in die Stützung der Volkswirtschaften ein und stellen jetzt fest, dass eine stark steigende Inflation nicht oder nur eingeschränkt zu bekämpfen ist. Unternehmen und Investoren wiederum haben „billiges Geld“ genutzt, massiv in einzelne Bereiche der Wirtschaft zu investieren, so z. B. den Immobilienmarkt, und damit eine Vermögensinflation induziert. Oder es wurde in junge Unternehmen mit modern klingenden Geschäftsmodellen investiert und an die Börsen gebracht, ohne deren Geschäftsmodelle auch tiefgehend zu prüfen. Mein persönlicher Favorit hierbei ist die Belieferung der Endkunden mit Lebensmitteln per Fahrradkurier. Wie soll dieses Geschäft jemals ein positives Ergebnis erwirtschaften und die heutigen Niedriglöhne signifikant erhöhen? Bisher wurde doch genau dieser Widerspruch zulasten der Volkswirtschaft und somit aller Steuerzahler „aufgelöst“: mögliche Gewinne wurden privatisiert und Verluste bzw. die perspektivische Einkommens- und Rentenlücke bei vielen Mitarbeitern sozialisiert.

Letztendlich wird deutlich, dass diese strikte Fokussierung auf „den Markt“ nicht funktioniert hat und nicht funktionieren wird. Es scheint so zu sein, dass doch mehr Spielregeln erforderlich sind, um alle Akteure zu einem „fairen Verhalten“ zu animieren, um es politisch korrekt zu formulieren. Und das ist nun mal Aufgabe einer Regierung. Ist damit die Idee einer Marktwirtschaft tot? Nein, aber wir können nicht unkritisch auf Rezepte der Vergangenheit schauen, wenn wir auf der anderen Seite feststellen, dass sich die Welt signifikant verändert hat.

Und was ist jetzt mit dem Zweck eines Unternehmens?
Die Betriebswirtschaftslehre ordnet einer Organisation drei Kennzeichen zu

(u. a. in Vahs, Organisation, 10. Auflage, Stuttgart 2019, Kapitel 1):

  • sie sind zielgerichtet
  • sie sind offene soziale Systeme
  • sie haben eine formale Struktur

Bezüglich der Ziele überwiegen klassische Finanzkennzahlen (mehr Umsatz, Gewinn, höhere Rentabilität, KPI…).

Etwas anders argumentiert die Soziologie (so z. B.: Kühl, Organisationen – Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden 2011, S. 16 ff.). Als zentrale Merkmale gelten für eine Organisation:

  • die Mitgliedschaft
  • der Zweck
  • die Hierarchie

Ausgehend von einem „Ur-Zweck“, der quasi die Existenzberechtigung der Organisation darstellt (Kühl, S. 24), könnten dannprobate Unterzwecke gebildet werden, so dass ein großes Unternehmen auch als hierarchische Zweckpyramide verstanden werden kann. Wenn diese Zwecke nun mit Positionen in der Hierarchie zusammengeschaltet werden, entsteht eine Organisation im Sinne von Zweck-Mittel Relation (Kühl, S. 25).

In der Beschreibung von Organisationen greift die Soziologie genau hier an, indem sie diese sehr rationale Sicht mit Beobachtungen verknüpft – und dann wird es „bunt“ und nicht mehr so klar: der Zweck ist teilweise nicht deutlich definiert und/oder den Mitgliedern nicht oder nur in Teilen bekannt. Dem akademisch geforderten Prinzip, Stellen nur sachgerecht/am Zweck zu orientieren (ad rem), wird in der Praxis sehr oft widersprochen und Zwecke und Positionen für Personen erdacht. Wenn es also im täglichen Organisationsalltag zu Abweichungen, Widersprüchen und Brüchen kommt, dann scheint der oben skizzierte rationale Ansatz zu eindimensional zu argumentieren. Wir könnten dann also annehmen, dass das Festhalten an der Zweckrationalität doch eher einer „Rationalitätsphantasie“ entspricht (Kühl, S. 29).

Worum geht es bei den heutigen Forderungen nach einem höheren Ziel?

Wagner hat in seinem Aufsatz in der FAS („Wozu ist die Firma gut?, in: FAS vom 29.12.2019) sehr stringent argumentiert, dass bereits in den 1970er Jahren die soziale Verantwortung in Deutschland von den Unternehmen eingefordert wurde (Wirtschaftskrise). „Sozial“ wurde aber ausschließlich mit den und für die Beschäftigten assoziiert. Erst der Perspektivenwechsel vom sogenannten „shareholder value“ in den 1980er Jahren hin zum „stakeholder“-Ansatz („…alle von den Entscheidungen der Unternehmen Betroffenen sowie alle, die hierauf Einfluss nehmen konnten.“) öffnete die Türen zu vielfältigen CSR Aspekten (Corporate Social Responsibility). Wagner geht in seinem Artikel im Besonderen auf die Haltung der Gewerkschaften ein, die interessanterweise eben nicht den CSR – Ansatz unterstützten (viele Ansprüche vieler Interessengruppen und nicht „der einen“ Vertretung der Arbeitnehmer). Die Gewinnerzielung, so Wagner, wurde aber in den letzten Jahrzehnten zunehmend wieder dominierend und CSR quasi als Marketinglabel hierfür genutzt. Dazu beigetragen hat wohl auch die Indifferenz des Begriffes, die damit organisations-spezifische Deutungen zulässt.

Noch deutlicher wird der Economist („I’m from a company, and I‘m here to help”, in: The Economist August 24th 2019). Sogenannte ESG Kriterien (environmental, social, governance) haben in den letzten Jahren Einzug in die Führungsetagen von Unternehmen gehalten, u. a. durch den Druck bedeutender Finanzkonzerne, wie z. B. BlackRock. Insofern ist auch erklärbar, warum Themen, wie z. B. Gewinne zu erzielen (für alle shareholder und stakeholder), einen Wertbeitrag für die Kunden zu liefern, die Mitarbeiter zu schulen, in Bezug auf Geschlecht und Rasse inklusiv zu agieren, alle Lieferanten fair und ethisch korrekt zu behandeln, die Kommune, in der der Sitz des Unternehmens ist, zu unterstützen und letztlich auch die Umwelt zu schützen, auf den Tagesordnungen von Vorstandssitzungen stehen.

Dem Argument, dass der Einzelne die Forderung nach einem höheren Ziel nicht oder nur sehr eingeschränkt beeinflussen kann, wird entgegengehalten, dass der Zusammenschluss der Individuen über eine Organisation, also dem Unternehmen, viel erfolgreicher sein kann.

Oliver Hart, Preisträger des Nobel Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 2016, negiert die Ansätze Friedmans nicht, sondern versucht, sie in die heutige Zeit zu transferieren („Gewinne sind nicht alles“, in: FAZ v. 28.09.2020).

Zunächst stellt er fest, dass die Unternehmen sich den Anteilseignern verpflichtet fühlen sollten, aber genau deren Interessen oder deren Fokus haben sich heute, ca. 50 Jahre nach Erscheinen des Friedman Artikels, verändert. Und wenn viele Individuen z. B. den Umweltschutz präferieren, dann könnte es ja sinnvoll sein, diese Kräfte in einem -/durch ein Unternehmen zu bündeln. Explizit stützt Hart die Argumentation von Friedman, dass Spenden nicht durch Organisationen erfolgen sollten, sondern durch die „privaten“ Aktionäre und „privaten“ Managerinnen.

Auf die Frage, welche Möglichkeiten zur Einflussnahme bei Unternehmen bestehen, verweist der Autor auf den Ausstieg (die Unternehmensbeteiligung wird aufgegeben/Aktien werden z. B. verkauft) und den Einspruch (Aktionäre üben z. B. ihr Stimmrecht aus).

Und nun – sind Organisationen wirklich in einer Sinnkrise?

  • Wir können zunächst mal festhalten, dass Friedman, entgegen den allermeisten Zitationen, in seinem Artikel aus 1970 sehr deutlich Recht und Gesetz betont hat, die für alle Aktivitäten von Unternehmen gelten, sie sozusagen in einen Handlungsrahmen einbauen.

  • Wie jede Quelle der Vergangenheit, so ist auch dieser Aufsatz aus seinem zeitgeschichtlichen Kontext her zunächst zu beurteilen und dann auf die Gegenwart zu übertragen. Es fällt auf, dass einige Aussagen durchaus noch Bestand haben.

  • Die Forderung gegenüber Organisationen nach einem Zweck ist nicht neu.

Der Zweck (ein Ziel) als ein Merkmal einer Organisation kann darüber hinaus auch in den Fachbüchern gefunden werden. Wagner weist z. B. in seinem Aufsatz für die FAS („Warum Manager lügen müssen“, in: FAS v. 04.10.2020) darauf hin, dassdas (alleinige) Streben nach Gewinn schon zu Anfangszeiten der (damals) neuen wissenschaftlichen Disziplin Betriebswirtschaftslehre vor ca. 100 Jahren verpönt war.

  • Was allerdings neu ist, ist die Verknüpfung des Zwecks mit Kriterien des ESG: Unternehmen sollen heute, so die Forderung, die Aspekte „environmental, social, governmental“ in ihre Geschäftspolitik aufnehmen und auch aktiv vertreten.

Es wird allerdings nicht deutlich, woher nun diese Forderungen stammen: die Eigentümerinnen, eine sogenannte Öffentlichkeit, Interessengruppen, Medien, weitere Handelnde oder ein Mix aus alledem?

Auf der anderen Seite können wir Unternehmen, zumindest den weltweit operierenden Konzernen, einen solchen Zweck zuordnen, wenn deren ökonomische Kennziffern ein Vielfaches von Staatshaushalten widerspiegeln. Wieso sollten z. B. Amazon und Apple in ihren Absatzmärkten keine Steuern zahlen, aus denen diese Volkswirtschaften dann z. B. wieder in Infrastruktur und Bildungssystem investieren?

  • Der Druck, heute (vermeintlich) korrekt zu agieren, hat zwangsläufig dazu geführt, dass Unternehmen sich diesen Themen gegenüber geöffnet haben, einige wohl analog des „green-washing“ inhaltlich nur halbherzig, dafür aber mit einem hohen Marketingbudget!
    Aktuell behandelt ein Artikel in der FAS („Bitte nicht politisch korrekt“, in: FAS vom 19.06.22) genau dieses Phänomen, für das offensichtlich auch ein weiterer Begriff Eingang in die Diskussion gefunden hat: „woke capitalism“ (aufgeweckter Kapitalismus), also das Engagement von Firmen für die o. a. ESG Positionen. Kritiker bemängeln aber auch hier die Ernsthaftigkeit und haben dafür das „woke-washing“ geprägt!

Darüber hinaus kommt eine im Artikel aufgeführte Studie zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass „Mitarbeiter, die mit einer vermeintlich progressiven Haltung der Firma nicht einverstanden sind, deutlich demotiviert werden, wogegen die woke Haltung bei den zustimmenden Mitarbeitern keinen feststellbaren Motivationsgewinn bringt.“

Es scheint also durchaus Vorsicht angebracht zu sein, dem Zweck bedingungslos hinterherzurennen (wie z. B. in „Wir sind in eine Optimierungsfalle geraten“, in: Bonner GENERAL-ANZEIGER, 25./26.06.22).

  • Insofern befinden sich die Unternehmen aus meiner Sicht nicht in einer Sinnkrise, wobei die Diskussion um „Profit versus höheres Ziel“ vermutlich auch nur für große Unternehmen gilt und in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht für die Masse der Firmen.

Die Anteilseigner müssen auch heute noch erwarten, dass ihre Unternehmen Gewinne erwirtschaften, die dann erst bestimmte „Wohltaten“ ermöglichen, sowohl innerbetrieblich als auch in der Volkswirtschaft.

  • Auf der anderen Seite wird doch heute sehr deutlich, dass eine globalisierte und damit verflochtene Weltwirtschaft von den handelnden Unternehmen Anpassungen erfordern. Und zwar immer: die Veränderung ist die Regel und nicht die Ausnahme. Und diese Anpassung gilt auch für Aspekte des ESG.

Letztendlich können wir auch sagen, es ist Aufgabe der Führungskräfte – so es sie denn in einem Unternehmen gibt und nicht nur „Vor-gesetzte“ – ESG zu denken, zu sagen, zu tun und das dann auch zu sein, in Anlehnung an Alfred Herrhausen.