TOLL – ich spüre noch Angst!

In der Novemberausgabe der Zeitschrift „PSYCHOLOGIE HEUTE“ wird die Angst behandelt, und zwar vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen, Katastrophen und Unwägbarkeiten des Lebens. Und davon gibt es zz. ja viele. Also werden vermutlich auch viele Menschen beunruhigt sein, ob überhaupt und wie es denn weiter gehen soll.

Biologisch gesehen ist die Angst anpassungsorientiert, soll heißen, sie hilft, zu überleben. Durch Angst induzierte körperliche Veränderungen treten zusammen auf und befähigen uns zu kämpfen, zu flüchten oder zu erstarren: Hier laufen also „alte“ biologische Prozesse ab. Wie Kandel in seinem Buch ausführt (Eric Kandel: Was ist der Mensch?, München 2018, Kapitel 8) tritt Angst bei jedem von uns auf. Wenn es aber sehr oft vorkommt, dann handelt es sich um eine generalisierte Angststörung. Im Übrigen gilt diese Beschreibung für viele Erkrankungen: Ein Gefühl beschleicht uns quasi ständig, genau das ist dann krankhaft. Gibt es eine genauere Beschreibung? Nein! Kandel ordnet Panikattacken, Phobien und die PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) den Angststörungen zu. Die Angst tritt auch häufig mit Depressionen auf.

Aus systemischer therapeutischer Sicht überwiegen zunächst die Vorteile der Angst: „Was der Schmerz für unseren Körper, ist die Angst für die Psyche.“ (Arnold Retzer: Miese Stimmung, 3. Auflage Frankfurt a.M. 2019, S. 82). Die Angst übernimmt damit auch eine wichtige Rolle in unserer Sozialisation, sie ist konstitutiv für unsere Entwicklung als Menschen. Jedwede Argumentation und Forderung nach einem angstfreien Leben haben nichts mit uns Menschen zu tun und ja, unser Leben beinhaltet auch Angst. Aber diese Angst ermächtigt uns, Ambivalenzen in unserem Leben zu erkennen und auch auszuhalten: Wer von uns kennt eben nicht auf der einen Seite den Wunsch nach Veränderung, sei es privat oder beruflich, und im selben Augenblick die Angst vor der Veränderung, denn es könnte ja auch schief gehen. Wichtig in diesem Kontext ist noch der Begriff Mut. „Mut ist die Fähigkeit zu denken, zu sprechen und zu handeln, trotz unserer Angst und Furcht. Furchtlosigkeit ist also nicht Mut, sondern Mut ist erforderlich, um zu handeln, auch und gerade dann, wenn man Angst hat.“ (Retzer, S. 97)

In dem o. a. Artikel aus PSYCHLOGIE HEUTE („Angstfreier leben“) werden mehrere aktuelle Studien erwähnt, die den Fokus auf die „Angst einflößenden“ Krisen legen und offensichtlich weicht dabei die Lebenswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland von dem gefühlten Zustand ab: Obwohl wir eines der reichsten Länder auf dieser Erde sind, mit einer demokratischen Verfassung und einem funktionierenden Rechtsstaat , erscheint gerade heute unser Leben äußerst fragil zu sein, vielleicht kurz vor dem Zusammenbruch.

Was können wir tun? Zunächst geht es bei therapeutischen Interventionen darum, Angst nicht wegzuschieben und zu verteufeln, sondern sie anzunehmen und zu akzeptieren. Das bedeutet grundsätzlich, dass wir uns mit uns selbst unter Beobachtung und Anleitung eines Therapeuten auseinandersetzen müssen. Und das wiederum hat zur Konsequenz, sich dafür Zeit zu nehmen, weil es uns wichtig ist. Die Erwartungshaltung, die heute vielfach bei Arzt- und Therapiebesuchen geäußert wird, mal eben eine Pille einzuschmeißen, um wieder fit ins Hamsterrad steigen zu können, ist fehl am Platz und darf nicht erfüllt werden. Wie bereits angeführt, Angst ist ein Teil von uns und hilft uns, zu überleben. Unser Leben, wir in unserer Umwelt, all das ist unsicher. Jeden Morgen werden wir mit Geschichten in den Nachrichten konfrontiert, in denen sich von einer Sekunde zur nächsten das Leben der davon betroffenen Menschen verändert hat. Unser Leben ist nicht sicher! Aber wir können auch Kraft daraus schöpfen: Dass wir bspw. Angst ausgehalten und trotzdem gehandelt haben („wir waren mutig“) und es letztendlich auch nicht so schlimm wie befürchtet gekommen ist, unsere Angst sich als unbegründet herausgestellt hat.

Ja, das Leben ist gerade schwierig. Kann es da passieren, dass wir Angst haben? Ja klar! Und muss ich dann beunruhigt sein? Nein, denn Angst haben wir alle hin und wieder. Erst wenn das normale Maß regelmäßig überschritten wird, kann es sinnvoll sein, Therapeuten zu kontaktieren und gemeinsam an der Angst zu arbeiten. Aber das Ziel dieser Sitzungen ist es nicht, die Angst zu verdrängen, sondern sie zu akzeptieren und einen Weg zu finden, mit ihr zu leben. Denn die Angst ist grundsätzlich ein notwendiges Element unseres Menschseins.

 

 

 

 

Führung – ZU EINFACH gemacht!

Also mal ehrlich: Ich hatte eigentlich vor, heute über ein anderes Thema zu denken, aber da kam ein Artikel der WIWO um die Ecke mit einem Titel, bei dem ich schon vor mehr als vierzig Jahren (ja genau, da habe ich mit der Führung von Menschen angefangen!) zusammengezuckt wäre. Okay, dann thematischer Schwenk und auf geht’s!

1) Dieses Denken von Führung in Schubladen („autoritär bis partizipativ“, …) dient doch dazu, Komplexität zu reduzieren und uns damit den Zugang zu dieser Welt zu ermöglichen. Aber ist das dann überhaupt „die Welt“?

Das Verständnis von sozialen Systemen (ja genau, ich bin auch systemisch ausgebildeter Coach und Therapeut!) ermöglicht da einen anderen, ich finde geeigneteren Weg zum Thema, weil der Mensch grundsätzlich als „nicht-trivial“ charakterisiert wird. Unser Verhalten ist eben nicht vorhersehbar, es ist nicht klar, wie wir gleich, in einem Konflikt mit einer Kollegin, reagieren werden. Dies unterstellt, führt es aber sofort zur Infragestellung all der im Artikel aufgeführten Schablonen, denn wir sind nun mal unterschiedlich – wie sollen dann Vereinheitlichungen greifen?

An dieser Stelle wird deutlich, dass die Führung von Menschen doch recht schwierig erscheint. Das ist sie. Das ist die Königsdisziplin. Und Königsdisziplin sind z. B. nicht die Konzeptionierung einer neuen Supply Chain unter Einbeziehung des Einkaufs und der Logistik oder auch die Elaboration eines neuen Preiskonzeptes für die angebotenen Dienstleistungen. Das ist für den betriebswirtschaftlichen Erfolg ohne Frage auch wichtig, aber nicht so komplex wie sich der Umgang mit anderen Menschen darstellt.

2) Wen soll der Artikel eigentlich ansprechen?

Menschen, die bereits Verantwortung für andere Menschen tragen? Oder diejenigen, die in Kürze ein Team übernehmen? Oder sollen es die Menschen lesen, die regelmäßig Chefinnen und Chefs ernennen, also „hierarchisch höhere“ Chefs? Oder vielleicht doch die, denen u. a. die Auswahl und Besetzung von Aufgaben funktional zugeschrieben wird, also dem Personalbereich? Oder sind die gemeint, die all das erdulden müssen, die Mitarbeiter? Oder ggf. der Betriebsrat, der regelmäßig quasi „therapeutische“ Sitzungen mit Mitgliedern der Belegschaft durchführen muss, weil sich immer wieder einzelne, aber dieselben, Chefs nicht im Griff haben?

Meine Beobachtung in Organisationen ist sehr oft aber, dass der oben skizzierte Adressatenkreis in einem Unternehmen nicht in der Lage wäre, eine kohärente Beschreibung der beiden Begriffe (Vorgesetzte und Führungskräfte) abzuliefern und auch kein Konsens darüber herrschen würde, was denn nun Führung genau in diesem Unternehmen HEUTE und MORGEN ausmachen sollte. Da helfen dann aber auch keine Schubladen, keine Standardisierungen oder auch „Modebegriffe“. Das wird nix.

Es scheint vielmehr so zu sein, dass die Nutzung dieser Schablonen es vielen Geschäftsleitungen erlaubt, das Thema schnell vom Tisch zu haben. Am besten komplett an einen Externen abschieben, das Ganze schön angerührt mit „BWL-Sprech“ und „buzz-words“- und da wird ein tolles Führungsverständnis draus, zumindest aber eine schöne Broschüre. Wird mal gleich gar nix!

Ja klar, das Ganze ist auch schwierig und unangenehm und geht möglicherweise auch direkt gegen den Chef und sein Verhalten. Das wollen die aber in der Regel nicht. (Schon mal erlebt: Morgens die Ansage des Top-Managements, dass ab sofort keine Smartphones mehr in Meetings zugelassen sind (Respekt, Aufmerksamkeit gegenüber…) und quasi nachmittags legt ein Top-Manager gleich zwei Smartphones auf den Tisch zu Beginn eines Treffens (er telefonierte dann auch und verließ mehrfach den Raum)? Ja, ich habe das schon erlebt!)

3) Wie könnte denn ein sinnvoller und machbarer Weg hin zur „Führungskraft“ sein?

Ich lege sehr viel Wert auf die systemische Unterscheidung zwischen dem Vorgesetztem und der Führungskraft, weil sie die Möglichkeit eröffnet, wiederum zu differenzieren und auch Entwicklungen zuzulassen: Die „Geführten“ entscheiden mit ihrer Gefolgschaft darüber, ob jemand wirklich eine Führungskraft ist. Die Legitimation erfolgt von unten. Demgegenüber steht die Vorgesetzte, die von oben (Legitimation) anderen Menschen „vor-gesetzt“ wird. Auch hier gilt, das eine ist nicht „gut“, das andere nicht „schlecht“, sondern es ist eben so. Und klar fangen auch Führungskräfte als Vorgesetzte an.

Wer Chef sein möchte, sollte daran interessiert sein, „morgen besser zu sein als heute“. Das heißt, kontinuierliches Machen, Machen, Machen. Aber auch Reflexionsphasen nutzen, mit der Möglichkeit, von erfahreneren Menschen ein Feed-Back zu bekommen. Und Achtung: Ich spreche hier nicht in Kategorien von „gutem und schlechtem“ Führen, sondern erfolgreich oder nicht in Bezug auf die im Unternehmen dazu gesetzten Rahmen. Und erfolgreiche Führungskräfte machen das ein Leben lang. Sie beobachten und kopieren auch von anderen, natürlich. Warum nicht?

Aus organisationaler Sicht kann ein externer Coach dann sinnvoll sein, wenn das Managementteam bereit ist, in den Dialog mit sich selbst über Führung und was das eigentlich im Unternehmenskontext sein soll, einzusteigen. Aber Führung ist die Königsdisziplin und damit IMMER die Nr. 1 auf der Agenda. 24/7. Und dann kann daraus ein Weg entstehen, der Führung genau in diesem Unternehmen auf ein neues und höheres Niveau stellt, inklusive von Weiterbildungskonzepten, dem Screening Talenten. Und damit wären ja alle o. a. interessierten Gruppen zufrieden.

So wird’s was!

Ich glaube auch, wie die Autorin, dass Menschen heute doch nicht vorrangig wegen Geld ihren Job wechseln, sondern, weil es eben nicht mehr dem Chef/der Chefin so weitergeht.