Politik und der Deutsche Stammtisch

Wesentliche Aussagen aus…:
Heuristiken des politischen Entscheidens
(Hg.): Karl-Rudolf Korte, Gert Scobel und Taylan Yildiz,
Berlin 2022; Suhrkamp Verlag
…zu Entscheidungen in der Politik.

„Hier sitzen die, die immer hier sitzen!“
Ich liebe diesen Spruch auf und zu deutschen Stammtischen.

Und der Stammtisch hat ja immer schon eine hohe Bedeutung in der politischen Kultur gehabt, auch außerhalb Bayerns. Ich assoziiere damit (obwohl ich weder ein Kneipengänger- noch ein Stammtischmitglied bin) in jedem Fall die einfache Ursache-/Wirkungsanalyse, vermutlich auch durch den Genuss alkoholischer Getränke befördert, bis hin zum ultimativen Statement des „richtigen Weges“ – dem „auf den Tisch hauen“ (sind das eigentlich Stereotype?).

Wenn es denn so simpel wäre. Ich habe mich schon einige Zeit gefragt, warum diese einfache Sicht auf die Welt nicht bis zu den politischen Entscheidungsträgern durchschlägt, wenn doch auch am Stammtisch Klarheit herrscht.

Eine Nebenbemerkung sei mir an dieser Stelle erlaubt: Besonders großartig finde ich Politiker, die in ihren Wahlkreisen dann im direkten Gespräch mit ihren Wählerinnen und Wählern die Diktion von „denen da oben und wir hier unten“ übernehmen, um ja nicht in die Konfrontation zu geraten. Das ist auch „einfacher“, eben ohne Reibung! Aber als gewählte Bundespolitikerin vertritt jemand wohl eher „die da oben“ und sollte auch dazu stehen.

Zurück zum Thema!
Wenn es also in Berlin oder in den Landeshauptstädten nicht so problemlos abläuft, dann scheint es doch Mechanismen, Spielregeln zu geben, die sich nicht sofort erschließen und einen gravierenden Einfluss auf Politik, besser die politische Entscheidung haben.
Und genau da setzt das vorliegende Buch an. Ich habe daraus vier Beiträge renommierter Autoren und Wissenschaftler ausgesucht, die, natürlich, „mit mir gesprochen haben“ und die ich nutzen möchte, um grundlegende Erkenntnisse über Politik und deren Entscheidungsprozess herauszuarbeiten.

1)
Gerd Gigerenzer,
Homo Heuristicus: Entscheidungen unter Ungewissheit,
Seiten 25-43.

Gigerenzer unterscheidet grundsätzlich zwischen Situationen, die von Risiko oder Ungewissheit geprägt sind. Der Unterschied besteht darin, dass ein Risiko unterstellt, dass alle möglichen Ereignisse bekannt sind und daraus auch Wahrscheinlichkeiten abgeleitet werden können, z. B. beim Roulette. Demgegenüber gilt für die Ungewissheit, dass eben nicht alles bekannt ist. Diese Unterscheidung hat signifikante Konsequenzen für die Organisationseinheiten, die sich mit dem Risikomanagement beschäftigen. Aber das nur am Rande.

Laut Gigerenzer bestehen die meisten Probleme aus einer Mischung von beiden Begriffen.
Um sich in diesem Minenfeld bewegen – und sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, benötigen wir auch eine „soziale Intelligenz“ (wie z. B. Imitation und Vertrauen). Und damit sind wir bei Heuristiken, welche er als „die Kunst, gute Lösungen in Situationen von Ungewissheit zu finden“ einordnet. Wir, also Menschen, verfügen über einen Werkzeugkasten an Heuristiken, der uns Möglichkeiten eröffnet. Aber Achtung: Nur in Situationen unter Ungewissheit (einige Beispiel im Text).

Heuristiken an sich sind nicht gut oder schlecht, sondern ausschließlich an der Struktur der Umwelt zu messen (z. B. „Vertraue Deinem Arzt!“, eine einfache Regel, die nur in Bezug auf ihre Umwelt gedeutet werden kann). Sie beziehen sich auf wenige Charakteristika einer Situation und lassen den Rest außen vor. Damit steht dieser Ansatz einer Denke gegenüber, die Daten, und möglichst viele davon, als erstrebenswert ansieht, weil sie eine vermeintliche Sicherheit erzeugen.

Ein weiteres, aus meiner Sicht sehr attraktives Element von Heuristiken, stellt die Einfachheit dar. Sie sind nachvollziehbar und verbergen sich nicht hinter undurchdringlichen Formulierungen. Beeindruckend ist das aufgeführte Beispiel einer signifikanten Reduktion unserer Gesetze auf sechs einfache Regeln, die, so der zitierte amerikanische Autor, für 90-95% der Rechtsfälle ausreichend seien. Da wir aber, und das gilt im Besonderen für die Bundesrepublik Deutschland, auf der Suche nach der vollständigen Rechtssicherheit sind, ergehen wir uns in einer Flut von Texten, die auch noch den letzten Einzelfall erfassen sollen.

In diesem Zusammenhang diskutiert Gigerenzer auch die Nutzung von umfangreichen Daten in Justiz- und Polizeiorganisationen. In den USA wird seit geraumer Zeit ein Algorithmus (COMPAS) genutzt, um Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit zu treffen, ob der Angeklagte u. a. rückfällig wird.  Der Verfasser weist nach, dass nur drei Daten ausreichend sind, um eine einfache Regel aufzustellen und die dieselben Ergebnisse erreicht wie die o. a. und als „black-box“ gekennzeichnete Datenkrake. Zu einem ähnlichen Urteil kommen die Aussagen über das sogenannte „predictive policing“, gestartet 2011 in Los Angeles, Kalifornien/USA. 2019 beendet die Stadt (2020 Chicago ebenfalls) den Ausflug in die durch große Daten und einen unbekannten Algorithmus gekennzeichnete Polizeiarbeit, weil sich nicht nachweisen ließ, dass Straftaten verhindert werden konnten.

2)
Gert Scobel,
Komplexität, Urteilskraft, Weisheit:
Philosophische Probleme der politischen Heuristik,
Seiten 109-147

 Scobel startet mit seiner Kernfrage, wie eigentlich in komplexen Situationen mit begrenzter Übersicht und eingeschränkter Datenlage und unter Zeitdruck gute politische Entscheidungen gefällt werden. Diese Frage hat eine erhebliche Relevanz für uns alle, da auf der einen Seite immer mehr Phänomene zu beobachten sind, die nicht nur unsere Gesellschaft, sondern viele/alle anderen auch betreffen (z. B. Klima und Migration) und wir wissen, dass unsere politischen Entscheider weder die Fachkompetenz (z. B. Epidemiologie) haben noch über eine umfängliche Information zu den einzelnen Krisenherden verfügen. Wie soll unter diesen Bedingungen überhaupt langfristiges politisches Handeln möglich sein (meine Anmerkung: Vielleicht gibt es das ja in dieser Reinform gar nicht mehr, sondern nur das Gestolpere von einem Krisenherd zum nächsten?)?

Wichtig finde ich darüber hinaus Scobels Charakterisierung der Politik als Bereich, der Fragen entscheiden muss, die sich mit den Mitteln der Wissenschaft nicht entscheiden lassen. Bei komplexen Sachverhalten scheint es also so zu sein, dass der Ruf nach einer Software, einem Rechenweg, einem Algorithmus zumindest für das politische Spielfeld nicht passt. Diese Komplexität bedeutet im Unterschied zur Kompliziertheit, dass sie nichtlineare, reflexiv-kursive Kopplungen zwischen Systemelementen beinhaltet, die sich wiederum gegenseitig beeinflussen, so dass letztendlich eben nicht klar ist, wie sich das Gesamtsystem verhalten wird. Ein kompliziertes System besteht demgegenüber aus linearen Beziehungen mit der Folge, dass es „gelöst“ werden kann.

Wenn Komplexität aber heute unser Leben bestimmt (unsere „Wirklichkeit“), dann hat das Auswirkung auf politische Prozesse zur Gestaltung der Gesellschaft. Oftmals gibt es auch keine Drehbücher, wie eine Krise zu bewältigen ist, so z. B. bei der Wirtschaftskrise 2008 ff. zu beobachten.

Scobel führt hierbei Luhmann an, der aus Sicht der Systemtheorie diese Kopplung von Systemen und deren gegenseitige Beeinflussung beschrieben hat. Das komplexe System bedeutet also ein zweidimensionales Problem: Zunächst, es zu verstehen und zweitens, es zu steuern. Ggf. sollte noch eine weitere Dimension Erwähnung finden, nämlich die Betrachtung oder Einschätzung der Nachwirkungen der eigenen Entscheidungen unter Unsicherheit.

Der Autor führt im Folgenden drei Thesen an:
a) Die „Urteilskraft“ als Begriff hat immer schon versucht, auf die nicht-trivialen Systeme

     „Mensch“ und die komplexe Umwelt zu reagieren

b) Der Begriff der „Urteilskraft“ ist nach wie vor zu unbestimmt, um eine Lösung zu

     generieren. Im Besonderen für den politischen Bereich gibt es bislang keine validen

     Untersuchungen über dessen Entscheidungsprozesse und -heuristiken.

c) Die ersten Erkenntnisse aus der Komplexitätsforschung legen nahe, den Begriff „Urteils-

    kraft“ neu zu vermessen,

welche er auf den dann folgenden Seiten intensiv diskutiert.

Im abschließenden dritten Kapitel geht es zunächst um die Frage, wie wir eigentlich mit Komplexität leben. Eine grundsätzliche Frage taucht sofort auf, ob nun sich in der Vergangenheit bewährte Modelle zur politischen Entscheidungsfindung überhaupt auf die Gegenwart übertragen lassen. Angesichts der seit wenigen Jahren beobachtbaren herausfordernden Krisen für unsere Gesellschaft sollten solche Modelle auf der einen Seite robust und stabil sein, auf der anderen aber veränderungsfähig und adaptiv. Laut Scobel hat sich aber bei der Bewältigung der letzten Krisen für uns gezeigt, dass dabei alte, erprobte Methoden auf komplexe Systeme treffen und eben nicht, wie in der Vergangenheit, zum Erfolg geführt haben. In diesem Kontext führt er ein Buch auf, was ich vor 30 Jahren bereits gelesen habe, damals beeindruckend fand und es heute auch noch auf meiner Agenda steht (Dörner, Die Logik des Misslingens, Strategisches Denken in komplexen Situationen, Reinbek 1989). Auch der Versuch, die Lösung von komplexen Problemen zu trainieren, z. B. über Spiele, wird nicht zum Ziel führen, weil zumeist der Spielleiter das „allumfassende“ Wissen hat und auf Entscheidungen der Teilnehmer reagiert, dies aber in realen Situationen eben nicht so erfolgt: Aufgrund der nichtlinearen Beziehungen ist nicht klar, was passieren wird. Und das konnte in den vergangenen Krisen deutlich beobachtet werden.

Super finde ich das aufgeführte Zitat von Ralf Dahrendorf: „Mit Komplexität leben zu lernen, ist vielleicht die größte Aufgabe politischer Bildung. Populismus ist einfach, Demokratie ist komplex“.

 3)
Hartmut Rosa,
Beschleunigung: Zur Heuristik des Ausnahmezustandes,
Seiten 263-288

Zunächst geht der Autor auf die Zeitmuster in der Politik ein und identifiziert fünf Parameter einer Heuristik (Rhythmus (z. B. Wahlen), Dauer, Sequentialität (Reihenfolge der Aktivitäten), Geschwindigkeit und das Timing (z. B. das Einbringen eines Gesetzesvorhabens vor der Sommerpause und nicht danach). Allerdings werden diese Parameter in der Regel nicht von den Politikern beeinflusst.

Des Weiteren ist zu bemerken, dass Politik, besser, das Regieren, immer versucht, die eigene Geschwindigkeit mit denjenigen des gesellschaftlichen Lebens (soziale Entwicklungen) in Übereinstimmung zu bringen. Daraus, also der Betrachtung der Politik in der Zeit, ergeben sich vier weitere Dimensionen (Radius, Zeitvolumen, Operationsgeschwindigkeit und Relationierung).

Mit Blick auf die Umbrüche im 21. Jahrhundert kommt Rosa zur These, dass die Beschleunigung der Gesellschaft, quasi durch Überschreiten einer kritischen Geschwindigkeitsschwelle, die Demokratie gefährdet. Oder andersherum: Es scheint so zu sein, dass in unserer Demokratie eine Politik nur mit einer mittelschnellen Geschwindigkeit operieren kann/sollte.

Die im Folgenden ausführlich dargelegte Begründung für diese These fußt im Wesentlichen darauf, dass zunächst mal der Wandel so dynamisch (schnell) sein muss, dass sich soziale Veränderungen manifestieren und Politik durch Projekte Einfluss nehmen kann. Wenn diese Dynamik allerdings so an Fahrt gewinnt, dass die politischen Akteure mittels Programmen nicht mehr „mitkommen“, die Verhältnisse also viel schneller einer Veränderung unterliegen, so dass die Entscheidungsfindung nicht mehr kontrolliert werden kann, dann ist das Gegenteil erreicht: Die Gefährdung von Demokratie. Das bedeutet in Konsequenz, und es konnte bei den Krisen der letzten Jahre beobachtet werden, dass Politik nicht mehr im regulären Willensbildungsprozess agiert, sondern als Feuerlöscher, um die Prozesse zu entschleunigen. Als weiteres Merkmal aktueller Politik gilt das Regieren über Verordnungen, also jetzt zu erfüllender Auflagen, um überhaupt eine Möglichkeit zur Kontrolle des Prozesses wiederzuerlangen (z. B. in der Finanzkrise).

Sehr anschaulich wird das Dilemma über die Grafik auf S. 279 vermittelt: Aufgrund der komplexen Probleme wird MEHR Zeit benötigt, eine substanzielle Entscheidung herbeizuführen. Die Dynamik der Geschehnisse allerdings treibt die Entscheider aber vor sich her, es soll/muss schnell gehen, also kann nur WENIGER Zeit zur Entscheidungsfindung zugestanden werden.

Wenn dann noch, so der Autor im weiteren Verlauf seines Aufsatzes, heute fast alle Aspekte des sozialen Lebens politisch geregelt werden, dann hat dies wiederum Konsequenzen für den Willensbildungsprozess: Er wird inhaltlich noch mehr belastet. Das Konzept des demokratischen Regierens wird ergänzt, vielleicht substituiert, durch das Konzept eines sich selbst organisierenden Prozesses der politischen Regulierung (government – governance). Rosa führt an, dass aber genau diese Tendenz die Ablösung der mittel- und langfristigen gesellschaftlichen Gestaltung hin zu einem „muddling through“, also einem Durchwurschteln bedeutet.

4)
Karl-Rudolf Korte,
Politische Mechanik: Über Entscheidungsheuristiken in der Politik,
Seiten 289-320

Da Entscheiden auch Gegenpositionen zutage fördert, sei es in der Politik ratsam, möglichst viele Entscheidungen nicht zu treffen, sie offenzuhalten. So, das Eingangsstatement von Korte.

Es folgt sogleich eine weitere Beobachtung: Während der Politiker nach außen, in der Öffentlichkeit, eine Entschiedenheit spielt, weil sie vom Publikum mit Macht assoziiert wird, tritt der erfahrene Politiker nach innen eben nicht entschieden auf. Warum handeln die Akteure so? Weil Mehrheiten im politischen Betrieb gefunden werden müssen, um Macht zu erhalten. Diese Mehrheiten wiederum sind aber nur sehr schwer zu erreichen.

Der Aufsatz ist in drei Teile gegliedert, im ersten Abschnitt geht es um das Momentum des Entscheidens.

Korte bezeichnet dabei die Entscheidungsheuristiken als kognitive Abkürzungen, die einen einfachen Umgang im politischen Tagesgeschäft ermöglichen, oder auch in anderen Worten, sie bedeuten eine Kunstfertigkeit in ungewissen Situationen. Diese Heuristiken werden unbewusst genutzt und sollen komplexe Sachverhalte auf eine einfachere Ebene (Urteilsoperationen) herunterziehen.  Korte bezieht sich in seiner detaillierten Abstimmung zwischen „System 1 und System 2“ auf Kahneman/Tversky. Im Grunde genommen geht es darum, dass der Politiker unter Zeitdruck und bei nur eingeschränkter Kenntnis eine geistige Strategie zum Vorgehen hat. Diese Daumenregeln stehen aber auch für eine Nicht-Entscheidung, wie o. a., wobei sie einen Zeitgewinn bedeutet.

Diesem Zaudern kommt eine hohe Bedeutung im politischen Alltag zu, weil sie Handlung unterbricht und Zeit bietet zur neuen/weiteren Orientierung.

Im zweiten Abschnitt werden die Konturen einer politischen Rationalität diskutiert.

In unserer Demokratie gehört die Bereitschaft und Fähigkeit zum Kompromiss zu den Grundsätzen, unter Beachtung eines möglichen Optimums und eines Maximums. Beides spielt insofern eine Rolle, weil Politiker auch ihre Wiederwahl im Blick haben (müssen).

Dabei wirken die Akteure aufeinander ein. Reaktionen jeglicher Art sind die Regel, nicht die Ausnahme.

Was wirklich gut zu „meinem Stammtisch“ passt: „Politische Macht ist (deshalb) oft auch eine von Dritten unterstellte und konstruierte Macht des Augenblicks.“

Insofern gibt es, so der Autor, einige Praktiken bei Entscheidungen, die es Wert sind, aufgeführt zu werden:

  • Bei Kommunikation wird eine Unschärfe genutzt, um einer Polarisierung, hervorgerufen durch ein klares Statement, zu entgehen
  • Nutzung von Zeitstrategien zur Entschleunigung und zur Verschiebung in die Zukunft

(Entscheidung heute, Wirkung erst in der nächsten oder späteren Wahlperiode)

  • Wähler sollen sich an unliebsame Entscheidungen „gewöhnen“, also müssen Inhalte nur portionsweise, aber immer wieder kommuniziert werden
  • Gegner im eigenen Lager sind einzubinden, wegzuloben oder zu isolieren
  • Tausch- bzw. Gegengeschäfte als Grundlage zur Organisation einer Mehrheit
  • Regelabweichungen
  • Neben den formellen Regeln gilt es, informelle Wege zu suchen und zu bespielen.

Korte unterstützt die bereits bei den anderen Autoren diskutierte Komplexität des Geschehens im Sinne von Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgenlastigkeit des Entscheidungsfeldes. Politische Entscheidungen sind unkalkulierbar.

Um damit umgehen zu können, schlägt Korte drei Wege vor:

  • Politisches Entscheiden fokussiert nicht (mehr) auf die Gestaltung,

sondern auf das „Durchwurschteln“

  • Reduktion der Komplexität durch Verzicht auf unbedingt einzuhaltende Regeln;

Ziele werden nicht mehr kommuniziert, Probleme ausgesessen;

  • Eine „kluge“ Kontextualisierung.

Die Betrachtung von Krisenheuristiken bildet den dritten und letzten Abschnitt.

Damit ist eine Entscheidung in Echtzeit gemeint, so wie sie bspw. während der Pandemie beobachtet werden konnte. Das wesentliche Problem dabei war es, basierend auf unserer Demokratie, Entscheidungen zu legitimieren, aber auch auszubalancieren und nachvollziehbar zu begründen. Und das Ganze vor dem Hintergrund eines sich weiterentwickelnden Virus, was tödliche Folgen für die Bewohner haben kann. Mit den in Deutschland getroffenen Maßnahmen sieht Korte die Reduktion von Komplexität: Es ist nicht mehr alles wichtig, sondern nur noch wenige Elemente. Dabei folgte die Politik den Entwicklungen des Virus und auch rekursiv ihren beobachtbaren Folgen ihrer eigenen Entscheidungen.

Meine Zusammenfassung:
Es ist zu erkennen, dass die Spielregeln der (und in der) Politik sich von denjenigen anderer gesellschaftlicher Systeme unterscheiden, und zwar ggf. fundamental.

Das am Stammtisch gern gesehene „auf den Tisch hauen“ würde in der Politik eher kontraproduktiv für die Akteure wirken. Eine politische Mehrheit ist „flüchtig (Korte), sie muss organisiert werden, und zwar kontinuierlich. Das bedeutet in vielen Fällen Unklarheit und eben nicht Klarheit.

Was ebenfalls deutlich geworden ist: Politik ist komplex. Die Variablen im Spiel sind nicht alle zu erkennen und das System verhält sich so, dass es als nicht-trivial gekennzeichnet werden kann. Politik ist an sich nicht klar und eindeutig.

Das dritte wesentliche Element ist die Zeit. Obwohl unser Leben komplexer, und damit unbeherrschbarer wird, wir also mehr Zeit zur Datensammlung, Analyse, Diskussion und Entscheidung benötigen würden, wird sie Politikern nicht zugestanden: Er oder sie soll schnell(er) handeln. Damit tritt auch die Nicht-Entscheidung bzw., die Verzögerung einer Entscheidung in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Und abschließend ist festzuhalten, dass Politik Heuristiken nutzt. Dies sind einfache Regeln, die zur Bewältigung von unsicheren, komplexen Situationen dienen.

Die Deutschen und ihr Militär sowie Militärische Großprojekte – ein Kochbuch für die Bundeswehr

Die beigefügte Karikatur aus dem Bonner General-Anzeiger vom 22.12.2022 – ich muss jedes Mal wieder lachen.
Der Burner!!!!
Okay, genug gescherzt – Zeit für Trauerarbeit!

Bevor ich loslege, ich war zwölf Jahre Offizier der Bundeswehr (Heer, Nachschubtruppe) und schreibe mir deshalb ein bisschen Kompetenz in diesem Thema zu. Des Weiteren sei erwähnt, dass ich in meinem Leben als Logistikmanager in Großprojekten unterwegs war, u.a. beim strategischen Luftdrehkreuz der DHL in Leipzig/Halle und dieses Wissen auch in die Reformkommission im Bundesministerium für Verkehr einbringen konnte. Zum Projektmanagement kann ich also auch etwas sagen.

Was mich dazu veranlasst, hier ein paar Gedanken einzubringen, ist die immer wiederkehrende Zurschaustellung einer Inkompetenz im Projektmanagement der Bundeswehr, die es problemlos mit den noch prominenteren Vorhaben im zivilen Bereich, also „Flughafen Berlin Brandenburg (BER)“, „Elbphilharmonie“ und „Stuttgart 21“ etc. aufnehmen kann. Und wenn etwas immer wieder geschieht (das Murmeltier lässt grüßen), dann liegt die Vermutung eines organisatorischen-, prozessualen- und/oder Personalversagens nahe.

So, und jetzt kommt der Puma. Das kann doch nicht sein, oder? Wenige Tage vor Beginn der Führungsverantwortung in der schnellen NATO-Eingreiftruppe (VJTF) am 01.Januar 2023 meldet die Bundeswehr den Ausfall von 18 Puma-Schützenpanzern (das Vorgängermodell „Marder“ kenne ich noch ). Jetzt langt’s! Wir müssen mehr Ernsthaftigkeit in die Diskussion bringen und Personen, Funktionen/Amtsträgern in Organisationen Verantwortung zuweisen:

  • Der Zustand unserer Bundeswehr spiegelt die Bedeutung wider, die wir als Gesellschaft dem Militär zubilligen: nicht bedeutend, nicht wichtig. Eher akzeptiert als geachtet. Lieber Brunnenbohrer als Infanterist im Kampfeinsatz. Schöne bunte Bilder mit Kindern vor der neu erbauten Dorfschule in einem unterentwickelten Land lieber als Särge mit toten Soldaten, die nach Deutschland überführt werden. Und das 68 Jahre nach Gründung der Bundeswehr!

Verantwortlich: Die Bundesregierungen, die im Bundestag vertretenen Parteien und wir, die Bevölkerung.

  • Die Träume der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die ab 1989 bei fast allen Repräsentanten des Staates Anklang fanden, sind mit dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 geplatzt.

Mal abgesehen von der Frage, inwiefern wir eigentlich noch solche Ministerien und Nachrichtendienste benötigen, wie z. B. das Auswärtige Amt, wenn diese nicht in der Lage sind, vor Mitte 2021 darauf hinzuweisen, dass die Taliban in Afghanistan in atemberaubender Geschwindigkeit alle Errungenschaften westlicher Streitkräfte während des 20-jährigen Einsatzes abräumen könnten (lesenswert: Sönke Neitzel: Deutsche Krieger, 2. Auflage 2020, S. 487 ff.), und anschließend aber auch nichts von Putin und einem Angriffskrieg wussten (so zumindest die Reaktion in vielen Medien), wo sind denn jetzt die Ziele für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik und davon abgeleitete Strategien, diese zu erreichen?

Fehlanzeige! Da ist gar nichts!

Verantwortlich: Die Bundesregierungen und die im Bundestag vertretenen Parteien. Dabei scheint es so zu sein, dass im Besonderen die Fraktion der SPD noch heute naiven Vorstellungen einer internationalen Sicherheitsarchitektur huldigt.

  • Zum vorherigen Punkt gehört zwingend, ein Selbstverständnis zur Bundesrepublik Deutschland zu haben. Wer sind wir, welchen Beitrag wollen wir in internationalen Organisationen leisten? Welche politischen, wirtschaftlichen und dann auch militärischen Implikationen haben diese Überlegungen? Wollen wir „führend“ sein, über wirtschaftliche Aspekte hinaus und dann auch „führen“, was einige Partner, z. B. in der EU unterstützen, andere aber sehr kritisch würdigen?

Auch hier: Fehlanzeige!
Verantwortlich: Die Bundesregierungen.

  • Die Auswahl des Spitzenpersonals für das schwierigste deutsche Ministerium, das Verteidigungsministerium, erfolgte und erfolgt nach politischen (Partei, Koalition…) Grundsätzen und nicht nach Kompetenz.

Wie lange soll das eigentlich noch so geschehen? Oder hat sich der Eindruck verfestigt, dass das BMVg „eben nicht in den Griff zu bekommen ist“? Immerhin haben auch in der Vergangenheit Minister wegen Affären gehen müssen. Es traf z. B. Franz-Josef Strauß (1956-1962) und während meiner Dienstzeit bot Manfred Wörner (1982-1988) wegen seiner Fehlentscheidung in der Kießling-Affäre Bundeskanzler Kohl seinen Rücktritt an.

Es kann doch nicht sein, dass wir uns in dieser sehr komplizierten Organisationsstruktur des BMVg und im Spannungsfeld von internationalen Verpflichtungen Ministerinnen leisten, die z. B. darüber fabulieren, den Arbeitsplatz des Soldaten attraktiver zu machen, dann eine führende Vertreterin von McKinsey zur Staatssekretärin machen, um die Beschaffung zu reorganisieren, die dann wiederum Aufträge an ihren alten Arbeitgeber vergibt (natürlich indirekt!). Und nach vier Jahren geht. Klar! Und die verantwortliche Bundesministerin ist heute Präsidentin der EU-Kommission!

Im Übrigen gilt auch für das Spitzenpersonal des BMVg, ein Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung zu sein – könnte es sein, dass genau hier erhebliche persönliche Defizite vorlagen und aktuell gerade sehr deutlich hervortreten?

Aktuell tobt eine Berichterstattung rund um das private (?) Neujahrsvideo der amtierenden Ministerin durch die Medien (lesenswert der Kommentar von Jürgen Kaube, einem der Herausgeber der FAZ.

Verantwortlich: Der Bundeskanzler;

Sowie im Fall von Karl-Theodor zu Guttenberg (2009-2011) auch die CSU.

Verantwortlich für die interne Besetzung mit Spitzenpersonal: Die jeweiligen Bundesminister/Bundesministerinnen.

  • Wenn wir auf international operierende Konzerne, wie z. B. die Volkswagen AG oder auch die Deutsche Telekom AG, schauen, dann erscheint es normal, dass kontinuierlich organisatorische Änderungen erfolgen. Mal wird der Vorstand verkleinert, mal erfolgen personelle Wechsel, je nach Branche sogar quartalsweise.

Nur in der auch großen Organisation Bundeswehr, da bewegt sich nichts.

Gut, jetzt könnten wir für die Vergangenheit anmerken, dass so fundamentale Änderungen in der Umwelt der Armee nicht vorlagen (was ich bezweifle), also bestand auch keine Notwendigkeit zur kontinuierlichen Anpassung.

Das ist aber auch Vergangenheit: Die großen Organisationen müssen, eben weil die Umwelt sich viel schneller ändert, auch schneller Änderungen in ihrer Aufstellung herbeiführen. Das gilt nach dem Februar 2022 wohl im Besonderen für die Streitkräfte. Wo sind die Konzepte, wer treibt dieses Thema?

Verantwortlich: BMVg (zivile und militärische Führung)

  • Eine Konsequenz der o. a. gestreiften Entwicklungslinien besteht in der personellen Ausdünnung der Streitkräfte im Allgemeinen (Reduzierung der Dienstposten) und im daraus resultierenden Kompetenzverlust. Es sind einfach nicht mehr die Offiziere im Ministerium und in den Stäben vorhanden, die als kompetente Auftraggeber der Rüstungsindustrie auftreten könnten. Diese Situation ist vergleichbar mit der personellen Ausstattung unserer öffentlichen Arbeitgeber mit z.B. Ingenieuren für Bauen, Infrastruktur.

Verantwortlich: Die Bundesregierungen.

  • Dann schwenken wir verzugslos zur Beschaffung von Ausrüstung und militärischem Gerät: Wenn keine fachliche Kapazität im militärischen Bereich vorhanden ist, wie gestaltet sich dann z. B. der Einkaufsprozess für einen neuen Kampfpanzer?

Die Antwort ist aus meiner Beobachtung einfach: Durch die Industrie.

Dort ist die Kompetenz vorhanden, sowohl inhaltlich/technologisch als auch juristisch. Wir können also davon ausgehen, dass die verantwortlichen militärischen Führer und Sachbearbeiter nur noch rudimentären Input geben und mehr oder weniger der Rüstungsindustrie einen Freibrief erteilen. Wie sollte es auch anders sein?

Verantwortlich: Die Bundesregierungen und die jeweiligen Minister und Ministerinnen.

  • Was ist in diesem Zusammenhang der Beitrag und/oder die Verantwortung des militärischen Führungspersonals?

Ebenfalls problematisch. Okay, wir haben ganz klar das Primat der Politik, aber das entbindet doch nicht die Generalität, Verantwortung zu übernehmen und dafür auch einzustehen. Das würde wohl bedeuten, die eigene Karriere (persönliche Ziele, vermeintlich attraktive Aufgaben und vielleicht auch die Reputation) hintenanzustellen.

Ich habe noch gelernt, dass der Vorgesetzte umfänglich für seine Soldaten verantwortlich ist. Ohne Wenn und Aber! Wie können dann die führenden militärischen Repräsentanten 20 Jahre lang die deutschen Soldaten nach Afghanistan ziehen lassen, ohne entsprechende Schutzausrüstung bereitgestellt zu haben?

Daneben taucht ein weiteres Fragezeichen auf, und zwar in Bezug auf die akademische Ausbildung der Offiziere. Diese haben, wie ich in Hamburg auch, ein Studium absolviert und zumindest im Studiengang Wirtschaftswissenschaften gab es immer schon Anteile des Faches „Controlling“ und „Organisation“. Wieso fließen diese Erkenntnisse nicht in die organisatorische Aufstellung des BMVg ein bzw. in ein modernes, effektives und effizientes Controlling? Wieso benötigt die Armee den drittgrößten Budgetansatz im Bundeshaushalt von über 50 Mrd. EURO (2022) und wieso kommt es trotz dieser enormen Summe zu solchen inkompetenten Ausreißern bei der Beschaffung von Großgerät?

Was wissen wir eigentlich grundsätzlich über die militärischen Verantwortlichkeiten, Kommunikationslinien und die Führungskultur innerhalb unserer militärischen Organisation? Wenn der verantwortliche Divisionskommandeur seinem Vorgesetzten die mangelnde Einsatzbereitschaft der Pumafahrzeuge meldet und es sich kurz nach Jahreswechsel herausstellt, dass viele Schäden sehr einfach hätten behoben werden können – wer agiert hier eigentlich wie und warum? Oder haben wir es mit einer undurchsichtigen Gemengelage zu tun, in der dann negative Nachrichten lieber mal nach oben durchgeroutet werden, um ja keine Fehler zu machen?!

Verantwortlich: Die militärische Führung.

  • Mein letzter Punkt gilt der Rüstungsindustrie.

Wieso regen wir uns eigentlich auf, dass die Aktien von Rheinmetall im Jahr 2022 um über 100% gestiegen sind? Weil das ein „böses“ Unternehmen in einer „bösen“ Industrie ist?

Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen einen Gewinn erwirtschaften wollen und müssen. Ende. Wenn der Kunde nicht in der Lage ist, Wünsche in geforderter Spezifikation und inhaltlicher Tiefe und Umfänglichkeit zu kommunizieren, dann obliegt es eben dem Auftragnehmer (dem Rüstungsunternehmen), hier „Nachhilfe zu geben“. Ende.

Ob nun die PUMA-Schützenpanzer, wie am 02.01.23 gemeldet, wieder einsatzbereit sind, oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Wichtig für uns und unseren Blick in die Zukunft ist, dass wir, ausgehend von unserem Selbstverständnis in der Welt dann auch über unsere industriell-militärische Kompetenz Klarheit haben. Und auch hier besteht erheblicher Nachholbedarf – wollen wir zukünftig wirklich so abhängig von den USA sein (Kauf von F-35 Kampfflugzeugen, Hersteller Lokheed Martin)? Ich kann das angesichts der Erfahrungen mit der amerikanischen Regierung Trump nicht glauben.

Verantwortlich: Die Bundesregierungen und die jeweiligen Minister und Ministerinnen, die militärische Führung und wir, die Bevölkerung.

Es gäbe noch weitere Anmerkungen hinzuzufügen, aber das Bild der Bundeswehr in der deutschen Gesellschaft würde nicht anders aussehen, nur an einigen Stellen noch etwas akzentuierter.

Ich möchte im Folgenden eher auf mögliche Handlungsansätze zu sprechen kommen, denn ein Akzeptieren des mangelhaften Ist darf keine Option sein.

  • Die politische und gesellschaftliche Diskussion über uns und unseren Anspruch als Nation muss geführt werden, initiiert durch die Bundesregierung. Und natürlich spielen dabei historische Erfahrungen eine bedeutende Rolle – sie können aber nicht

auf ewig die Leitplanke für uns sein, die es gilt, nicht zu touchieren. Die Welt ums uns herum verändert sich. Schnell. Und darauf müssen wir antworten und uns entsprechend aufstellen.

Die militärische Organisation Bundeswehr mit ihren Fähigkeiten ist bei uns eine Ableitung aus dem politischen Willen und ist eingebettet in ein internationales Sicherheitskonzept mit vielen anderen Partnern.

  • Das BMVg war immer schon das schwierigste Ministerium (was heißt das überhaupt?). Wenn das so ist, müssen die Besten in dieses Ministerium.
  • Das Projektmanagement „Einkauf von Großgerät“ muss auf den Prüfstand, unterscheidet sich aber in den elementaren Grundsätzen nicht von zivilen Vorhaben.

Also können Erkenntnisse aus diesem Bereich ins Militär übernommen und angepasst werden, so z. B.

  • Charakteristika dieser Projekte sind z. B. (in Anlehnung an Flyvbjerg):
  • Extrem riskant in Bezug auf lange Planungshorizonte und komplexe Schnittstellen
  • Entscheidungen treffen, Planung und Management sind typische Prozesse mit mehreren Beteiligten und unterschiedlichen Interessengruppen
  • Technologie und Design sind oftmals nicht standardisiert
  • Oftmals gibt es bereits zu Anfang eines Projektes die Fokussierung auf eine Lösung/ein Projektkonzept, was sich dann im sogenannten „lock-in“ niederschlägt (andere Varianten werden gar nicht mehr betrachtet) und einer immer stärkeren Verpflichtung hin zu der einen Lösung in den folgenden Projektphasen
  • Der „project scope“ verändert sich über die Laufzeit des Projektes signifikant
  • statistische Auswertungen weisen darauf hin, dass Budget- und Zeitpuffer nicht ausreichend zu Anfang für ungeplante Ereignisse berücksichtigt werden
  • Ungenügende Information über Kosten, Zeitpläne, Ergebnisse/Nutzen und Risiken
  • Als Ergebnis sind Budgetüberschreitungen und Nutzenreduzierung festzustellen
  • Die Ursachen hierfür (in Anlehnung an Flyvbjerg):
  • optimism bias

     hierbei unterliegen die Planer dem Trugschluss, den Psychologen „planning fallacy“ nennen.

     Manager tendieren eher dazu, optimistische Szenarien über zu bewerten als realistische, rationale Gewinne, Verluste und Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.

     Sie überschätzen Erträge/Nutzen und unterschätzen Kosten und Zeit.

  • strategic misrepresentation,

     hierbei geht es um politischen Druck und die divergierenden Interessen der am Projekt beteiligten Gruppen.

     Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass falsche Zahlen bewusst angesetzt werden („lügen“), aber Studien zeigen, dass sehr starke Anreize bestehen, in der Projektgenehmigungsphase positive Zahlen zu präsentieren (d. h. mit überhöhtem Nutzen und reduzierten Kosten).

  • Wie könnte eine Lösung aussehen (in Anlehnung an Flyvbjerg)?

3-Stufen-Modell:

Identifikation einer relevanten Referenzklasse an bereits durchgeführten Projekten

und

Einführung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die gewählte Referenzklasse

und

Vergleich des „aktuellen“ Projektes mit den Ergebnissen der Referenzklasse und Ableitungen daraus für die Projektplanung/für die Grunddaten

  • Weitere Aspekte die aus meiner Sicht sinnvoll sind…
  • Cut-off Zeiten sind cut-off Zeiten. Irgendwann ist nun mal „Einsendeschluss“ mit Spezifikationsvorschlägen. Wir müssen davon ausgehen, dass sich auch militärisches Führungspersonal in solchen Projekten „verewigen“ will. Ein Projket kann aber nur starten, wenn auch klar ist, was gebaut werden soll.
  • Die Besetzung von Lenkungsgremien, steering committees“, … muss mit sach- und fachkundigem Personal erfolgen, nicht nach Parteipolitik und/oder Regierungsamt. Das bedeutet nicht, keine Vertreter z. B. des Parlaments zuzulassen, aber diese können bei solchen Projekten nicht in der Mehrzahl sein.

      Diese Gremien haben unmittelbaren Zugang zum Minister/zu den Staatssekretären.

  • Einführung/Start einer Datenbank zu den bisherigen militärischen Großprojekte, wie o. a. Möglicherweise stehen auch rudimentäre Daten der NATO-Partner zur Verfügung. Das ist die Voraussetzung für die zukünftige Bewertung der Projektdaten, mit folgender Kernfrage:

      „Welche Gründe könnte es für genau dieses deutsche militärische Projekt geben, dass es zu geringeren Kosten und mit einem höheren Nutzen durchgeführt als alle vergleichbaren NATO-Projekte?“

  • Was ist in diesem Zusammenhang mit IT-Komponenten bzw. mit IT-Projekten insgesamt (in Anlehnung an Flyvbjerg)?
  • IT-Projekte tragen nicht nur im Durchschnitt ein erhebliches Abweichungsrisiko, sondern …
  • … sie haben ein überdurchschnittliches hohes Risiko an „black swans“ mit sehr hohen Gefährdungen für die Organisation (1/6 der Projekte hat dieses Risiko)
  • Insofern ist es eben nicht ratsam, auf den Durchschnitt, sondern auf die

      Ausreißer zu fokussieren.

Beim Lesen dieses Artikels aus dem Economist aus dem Jahr 2018 habe ich ein komplettes déjà-vue: Da steht doch schon alles drin! (Economist, Jul 26th 2018).

Wir lamentieren seit Jahrzehnten über den Zustand der Bundeswehr, aber eine von den Bundesregierungen angestoßene intensive inhaltliche Auseinandersetzung hat es bisher nicht gegeben. Ist schwierig, klar. Muss aber gemacht werden.

In diesem Lamentieren können sich offensichtlich alle Beteiligten auch suhlen und den Anderen Verantwortung zusprechen, das ist einfach und tut im Zweifel auch nicht weh, weil es irgendwie ja immer weiter geht. Dieses Verhalten war gestern noch erlaubt, hilft aber nicht für die Gestaltung des Morgen.

Wir als Gesellschaft können doch nicht junge Männer und Frauen zur Durchführung eines militärischen Auftrages ohne entsprechendes Material in die Einsatzgebiete entsenden. Wer verantwortet das?

Des Weiteren hat Russland deutlich gemacht, welche Bedeutung einem Militär und der Verteidigungsfähigkeit eines Landes zukommt. Ist nicht schön, ist aber so!

Die Akzeptanz des Ist stellt die Voraussetzung zum Start einer Veränderung in diesem Politikfeld dar. Dazu brauchen wir die Besten! Und mutige Politikerinnen und Politiker!
Fangen wir an!