
In der letzten FAS war neben dem dominierenden Thema Ukraine auch eine weitere Folge der, aus Sicht der SPD und Grünen ungeheuerlichen, geplanten Aufrüstung der Bundeswehr zu finden. In Anlehnung an solche quotenstarke TV-Formate wie z.B. „Bauer sucht Frau“ könnte es hier heißen: „Politik und Bundeswehr suchen ein Konzept“. Wie komme ich dazu, meine Anmerkungen zu diesem explosiven Gemisch kommunikativ auch zu verbreiten?
Ich war zu Anfang meiner beruflichen Karriere Offizier der Bundeswehr im Heer und habe die Streitkräfte Ende 1991 verlassen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch 12 Divisionen, jede mit 3 Brigaden, so dass das Heer über 36 Brigaden inklusive Waffen, also z.B. Kampfpanzer Leopard, verfügte. Heute haben wir – die Bundesrepublik Deutschland und damit die Bundeswehr – Schwierigkeiten, 1 Brigade so auszustatten, dass sie den Anforderungen der NATO-Partner entspricht.
Wie konnte es dazu kommen? Einfach zu beantworten: Politische Entscheidungen und Wegducken der militärischen Führung.
Die verantwortlichen Bundesregierungen haben das Militär „kaputtgespart“ (so z.B.). Und jetzt stellt sich heraus, das war falsch! Toll! Und jetzt soll Geld wieder Konflikte überpinseln und weichspülen, national und international. Das machen wir ja gerne in Deutschland.
Ärger 1:
Es ist doch Aufgabe der Politik, u.a. auch „das Morgen“ zu gestalten. Das ist ihre Verantwortung!
Wie konnte es sein, dass alle Regierungen, und in der Ausführung dann der/ die verantwortliche Verteidigungsminister (-in), das zugelassen haben, obwohl zu jeder Zeit seit dem Fall der Mauer 1989 militärische Konflikte stattgefunden haben? Obwohl Putin mit der Ukraine nicht zum ersten Mal einen anderen Staat überfällt? Obwohl wir zusammen mit anderen Streitkräften in NATO – Einsätzen unsere Soldaten weltweit verteilt haben?
Wir halten in unseren Hochschulen und Universitäten immer wieder Vorlesungen zum strategischen Vorgehen ab, bis zur völligen Ermattung der Unterrichtenden und Studenten. Politik benötigt das nicht? Sind sie nur noch taktisch/ operativ unterwegs, soll heißen kurzfristig und der Horizont der Denke geht bis zur nächsten Wahl? Das reicht nicht mehr!
Ärger 2:
Nicht genug, dass keine einsatzbereiten Waffensysteme in den Hangars stehen. Darauf wird ja in den Kommentaren im Besonderen abgezielt.
Aus meiner Sicht noch gravierender ist die Tatsache, dass wir in den Streitkräften keine Expertise mehr haben, die die Vorstellungen des Militärs zu Papier bringt und diese kompetent und auf Augenhöhe mit der Industrie verhandelt. Diese Offiziere und Unteroffiziere gibt es schlechterdings nicht mehr.
Nicht vorhanden. Weg. Das bedeutet, dass die Rüstungsindustrie, übertrieben gesagt, ihre Vorstellungen zu technischen Spezifikationen, Preisen, Lieferzeiten etc. im Grunde genommen der Bundeswehr „diktiert“. Und wie war das nochmal mit den Projekten mit militärischem Hintergrund in der Vergangenheit?
Genau, Katastrophen!
Die Situation im deutschen Militär ist in dieser Beziehung nicht anders als in allen deutschen Bauämtern, denen Ingenieure fehlen, um inhaltlich kompetent und , nochmal erwähnt, auf Augenhöhe mit den Investoren zu diskutieren und zeitgerecht Entscheidungen herbeizuführen. Und das hat deutsche Politik zugelassen.
Wie kann das geändert werden? Kurzfristig überhaupt nicht. Meine Schätzung: mindestens 10 Jahre Zeitbedarf, denn die Expertise für diese Aufgaben entsteht ja auch durch Erfahrung. Und die benötigt Zeit.
Und genau dieser wirklich unglaubliche Zustand der Inkompetenz führt dann zu Freudentänzen in den Vorstandsetagen der Wehrtechnikunternehmen bis hin zu Empfehlungen, doch jetzt Rüstungsaktien zu kaufen.
Ärger 3:
Ich selber habe an der damaligen Hochschule der Bundeswehr in Hamburg Wirtschafts- und Organisationswissenschaften studiert. Und ein Bestandteil des Studiums hieß Controlling. Controlling ist auch heute noch Element jedes wirtschaftswissenschaftlichen Curriculums. Alle derzeit verantwortlichen militärischen Führer haben einen Studiengang wie ich durchlaufen und vermutlich die meisten eben im Fach Wirtschaft.
Mit Blick auf den Wehretat des Bundes bleibt festzustellen, dass eine ganze Menge an Geld regelmäßig in das Bundesministerium der Verteidigung fließt. In allen wirtschaftlichen Systemen gilt es aber, zweckmäßige Entscheidungen unter Ressourcenknappheit durchzuführen. Es kann nicht unendlich viel Geld in den Verteidigungshaushalt fließen, sondern wir – die Bundesbürger – dürfen doch wohl von der militärischen Führung erwarten, dass Priorisierungen erfolgen. Wie in einem Unternehmen auch.
Wie kann es sein, dass diese im Studium erworbenen Kenntnisse, zumindest aus meiner Beobachterperspektive, keinen Niederschlag im System Bundeswehr gefunden haben? Wie kann es sein, dass der Umgang mit Steuergeldern so lax erfolgt bzw. dass kein adäquates Controllingsystem implementiert wurde. Dazu gehört auch, eine Entscheidung nicht zu treffen, z.B. induziert durch das organisatorische Wirrwarr mit dem BAAINBw in Koblenz (dem Beschaffungsamt). Die Managementkompetenzen in der Führung von Projekten lasse ich bewusst unerwähnt.
Die militärische Führung ist hierfür mit-verantwortlich und es ist ja schön, dass der aktuelle Inspekteur Heer seinen Verantwortungsbereich als „mehr oder weniger blank“ charakterisiert hat. Aber das ist doch nicht neu.
Wo und wie ist denn die Haltung der Generäle, auch in der Vergangenheit, dazu? Sie sind doch verantwortlich und auch dafür, dass Soldaten mit mangelhafter Ausrüstung in Krisengebiete gesendet werden! Das soll Führung sein?
Führung ist mit Verantwortung sehr eng verwoben. In der Bundesrepublik gilt das Primat der Politik. Trotzdem erwarte ich von einem Offizier in herausgehobener Position das Einstehen für seine Haltung und auch für seine unterstellten Truppen. Und ja, das könnte auch ein Rücktritt sein. Und ja, das wären dann geringere Bezüge im Ruhestand. Und ich hoffe, dass sich diese Übernahme von Verantwortung langsam auch wieder in der Politik bei uns etabliert. Ein Bundesminister für Verkehr Andreas Scheuer war doch genug, oder?


